Rahel Bains ist Journalistin und Redaktionsleiterin bei Tsüri.ch. Wir sprechen über den Einfluss von Technologie auf den Journalismus, neue Möglichkeiten, Geschichten zu erzählen, die Rolle der Medien in der Gesellschaft und warum die ganze technologische Entwicklung etwas zu schnell verläuft.
Die Digitale Gesellschaft setzt die neuen Episoden jeweils in Kontext mit digitalen Entwicklungen in der Schweizer Politik. Artikel zu jeder neuen Episode kannst du hier lesen: www.digitale-gesellschaft.ch/tag/deep-technology-podcast
Die Newsplattform Nau.ch bereitet die Episoden als Artikel auf. Diese kannst du hier lesen: www.nau.ch/lifestyle/deep-technology-podcast
Kernaussagen dieser Episode
- Als Journalistin schaltet man nie ganz ab, man hat immer die Augen und Ohren offen.
- Mit der Digitalisierung kam der Onlinejournalismus auf, da muss man Geschichten ganz anders erzählen. Newsjournalismus ist eine ganz andere Welt als Printjournalismus. Im Print konnte man gar nicht so schnell reagieren. Niemand weiss aber genau, wohin sich der Journalismus entwickelt.
- Mit der Kurzlebigkeit der News fehlt mir etwas. Ich gehe lieber tiefer und habe Kontakt mit Menschen.
- Die meisten Leser*innen gewinnen wir über Social Media, und alle unsere Geschichten pushen wir auch dort. Es ist ein hilfreiches Tool, um den Überblick zu behalten und auch an spannende Geschichten zu kommen. Auf Social Media hat man nicht viel Platz, um eine Geschichte zu erzählen. Man muss kurz und prägnant sein und hat nur ein paar Sekunden Zeit, die Leser*innen zu catchen.
- Es gibt Redaktionen, die haben innerhalb weniger Monate ein ganzes Videoteam rekrutiert und setzen voll darauf. Alle sind aber noch etwas auf der Suche nach dem idealen Storytelling. Spannend finde ich gelungene multimediale Beiträge, also ein Onlinetext auch mit Ton und Video. Das braucht aber alles viel mehr Resourcen.
- Als Journalist*in tendiert man dazu, dass man fast alles können muss: Schreiben, Video, Produzieren, und dann auch gleich noch Social Media machen. Am Schluss bringt es aber mehr, wenn man Profis für die einzelnen Bereiche einstellt, es wird besser.
- Konsument*innen sollte man nicht unterschätzen. Sie haben einen hohen Anspruch an die Bildqualität und wie es erzählt wird. Wir wollen nicht einfach noch schlechte Videos hochladen, nur dass wir Videos gemacht haben. Qualität vor Quantität.
- Man muss heute mehr Skills beherrschen als früher als Journalist*in.
- Bei unserer Redaktion ist die Situation speziell: Wir arbeiten alle für einen Einheitslohn von 4,000 Franken, also gibt es bei uns keine Leute, die einfach ihre Zeit absitzen, sondern allen liegt die Freude an der Sache am Herzen.
- Die Rolle der Medien ist wichtig in der Gesellschaft: Man muss die Konsument*innen stutzig machen. Heute kann man sich aber auch auf vielen anderen Kanälen informieren, zum Beispiel auf Social Media, doch es braucht auch Plattformen, die faktenbasiert sind, und nicht nur Social Media.
- Werbung sollte ganz klar von redaktionellen Beiträgen getrennt sein und gekennzeichnet werden. Es darf sich nicht vermischen. Da gibt es noch Verbesserungspotenzial bei gewissen Medien.
- Langfristig ist Clickbait kontraproduktiv. Man darf im Titel nichts versprechen, das man später nicht einhält. Wenn man das zu oft macht, wird man als Journalist ja auch abgestraft.
- In erster Linie sollten Leser*innen wieder bereits sein, für ein lässiges Magazin etwas zu bezahlen. Die Medienschaffenden sollten den Leuten aber auch mehr zutrauen, man kann ruhig auch einmal etwas Komplexeres machen.
- Bei Onlinemedien hat man durch die Kommentare ein ständiges direktes Feedback. Doch als Journalist*in sollte man das handhaben können, denn man will ja eine Diskussion anfachen. Ich bin mir meistens vorher schon bewusst, was ein Beitrag auslösen kann. Meistens sind die Kommentare aber keine spannende Diskussion, sondern eher abwertend und gar nicht mehr um die Sache. Es gibt viel Wust und Frust. Das hat man auch in der Corona-Krise gemerkt, dass die Kommentare gehässiger geworden sind.
- Oft wird es als gutes Skill gewertet, wenn man abend um elf noch Mails verschickt, doch man sollte sich bemühen um eine gute Work-Life-Balance. Man schafft sich den Stress manchmal auch selbst. Den Ausweg zu finden ist gar nicht so schwer, wenn man will.
- Man hat immer gesagt, dass wir durch die Automatisierung mehr Zeit haben, doch davon merkt man ja noch nichts, wir müssen immer noch acht Stunden pro Tag arbeiten. Ich frage mich auch, wann wir denn weniger arbeiten müssen.
- Mehr Fortschritt braucht es glaube ich in Punkto Klimawandel, das ist doch eigentlich die drängenste Frage. Man versucht in so vielen Bereichen, vorwärts zu kommen, doch sollte man nicht in diesem Bereich alles daran setzen, dass man weiter kommt?
- Ich wohne selber in einer hunderjährigen Siedlung, also bin ich privat nicht so von Technologie betroffen, trotzdem erstaunt mich manchmal, wie schnell es geht mit künstlicher Intelligenz, zum Beispiel Siri. Manchmal macht einem das schon etwas Angst, weil vielleicht irgendwann auch Algorithmen News schreiben.
- Super finde ich, dass ein Programm einen diktieren Text selbst transkribiert. Es macht auch etwas Angst, wenn das dann einfach so sauber transkribiert im Google Docs erscheint. Angst ist vielleicht etwas viel gesagt, es ist auch eher eine Faszination.
- Ein grosse Herausforderung wird sein, wie meine Kinder mit den Programmen und Social Media umgehen werden. Man kann sie nicht davon fernhalten, doch irgendwann wollen sie auch online sein. Das sollte auch in den Schulen ein Thema sein.
- Die ganze Entwicklung läuft glaube ich etwas schnell. Man sollte international gemeinsame Richtlinien finden und das gemeinsam regulieren, sodass nicht alle selbst irgendetwas wursteln, und man gar nicht mehr weiss, was man darf und was nicht. Der virtuelle Raum sollte als Lebensrealität anerkannt werden, und nicht als rechtsfreier Raum.
- Politiker*innen haben eine Verantwortung, und auch die Unternehmen selber, die Technologie vorantreiben. Beide sollten zusammenspannen, dass wir das Ganze etwas regulieren können. Im Moment nehmen sie ihre Verantwortung nicht genug wahr. Die Entwicklung läuft zu schnell, man kommt gar nicht hinterher.
- Konkret wünsche ich mir von den Politiker*innen, einen Austausch zu schaffen und anzuerkennen, dass man schnell schauen muss, dass man Technologie regulieren kann und sie nicht länger ein rechtsfreier Raum bleibt, vor allem im Hinblick auf Daten. Das Problem ist, dass wir auch nicht richtig wissen, was man machen soll, das ist der Job der Politiker*innen.
- Ich wünsche mir, dass es dem Journalismus irgendwann wieder gut geht, und dass es uns auch in den nächsten sieben Jahren noch gibt. Es weiss im Moment niemand so richtig, wohin es geht in der Branche.
- Persönlich wünsche ich mir, dass es eigentlich so bleibt, wie es jetzt ist, denn es ist eigentlich ziemlich lässig und schön.