Tilo Hühn ist Leiter des Zentrums für Lebensmittelkomposition und -prozessdesign an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und Food Architect. Wir sprechen über den Zusammenhang zwischen Technologie und Lebensmitteln, Trends in der Lebensmittelkomposition, und warum es ein neues Bewusstsein für Lebensmittel braucht.

 

Die Digitale Gesellschaft setzt die neuen Episoden jeweils in Kontext mit digitalen Entwicklungen in der Schweizer Politik. Artikel zu jeder neuen Episode kannst du hier lesen: www.digitale-gesellschaft.ch/tag/deep-technology-podcast

Die Newsplattform Nau.ch bereitet die Episoden als Artikel auf. Diese kannst du hier lesen: www.nau.ch/lifestyle/deep-technology-podcast

Kernaussagen dieser Episode

  • Der Preisdruck auf Lebensmittel hat dazu geführt, dass unnötige Zusatzstoffe eingesetzt werden. Die Produktion von Lebensmitteln befindet sich in einer Abwärtsspirale. Ökologische Systeme sind ausgebeutet, man muss sich um die Bodengesundheit Sorgen machen.
  • Es gibt heute Lebensmittel, die in einem Tank wachsen können, sogenannte Zellkulturtechnik oder Cellular Agriculture. Mit Wein geht das beispielsweise, und auch mit Schokolade, die aus dem Tank kommt. In 28 Tagen kann man eine Zelle ernten, und daraus Produkte herstellen. Das hat viele Vorteile, unter anderen auch eine kontinuierliche Produktion, nicht nur zweimal pro Jahr eine Ernte. Die Zellen selbst sind natürlich und werden einfach durch eine bestimmte Kultivierung vermehrt in einem Bioreaktor. Es braucht keine Transporte, keine Pflanzenschutzmittel, es ist keine Feldarbeit nötig. Unsere Vorstellung ist eine sogenannte Kulturei, wie eine Brauerei, in deren Tanks Zellkulturen für Lebensmittel wachsen.
  • Einen Lebensmittelherstellungprozess so genau abzustimmen, dass das Endprodukt immer identisch ist und genau den Vorstellungen des/der Konsument*innen entspricht, das ist das Ziel mit Reverse Engineering von Lebensmitteln. Wir verknüpfen die Fabrik und das Labor, das nennen wir Labtory. Mit Sensortechnik und moderner Automation kann man so neue Rohstoffe kombinieren und auch Food Waste vermindern.
  • Der Begriff “Künstliche Intelligenz” gefällt mir nicht so gut. Es sind ja immer Menschen, die die Programme schreiben. Daten an sich haben keine Bedeutung, diese weisen immer wir Menschen zu.
  • Food Waste ist eines der grössten Probleme für die weltweiten Emissionen. Wir sollten Lebensmittelrohstoffe immer zu Lebensmitteln verarbeiten, die von Menschen konsumiert werden können. dafür setzen wir Technologie ein. Lebensmittel müssen aber auch schmecken, sonst haben sie keinen Erfolg im Markt.
  • Das Fliessband kommt nicht aus der Automobilindustrie, sondern aus der Lebensmittelherstellung, der Fleischverarbeit. Automatisierung und Digitalisierung sind sehr wichtig für ein nachhaltiges Nahrungssystem. Neue Drohnen, die Quadratzentimeter-genau Felder dokumentieren, selbstfahrende Schlepper, die mechanisch Unkraut entfernen, Roboter, Pflanzenschutztechnik: sehr viel Computertechnologie und Robotik fliesst ein in die Lebensmittelverarbeitung.
  • Digitalisierung hat viel Positives, doch es gibt auch Gefahren, weil Konsument*innen geschickt manipuliert werden können. Man muss kritisch denken und nicht einfach alle Information online aufnehmen, die einem angeboten werden. Es ist nicht nur Information, sondern auch Desinformation.
  • Wir als Gesellschaft müssen definieren, was uns wichtig ist. Wir müssen ethisch und verantwortlich mit Datenschutz umgehen. Hinter Daten stecken Menschen, und auch die Schweiz muss ihre Verantwortung wahrnehmen, dass der Einzelne auch tatsächlich einen Datenschutz genissen kann.
  • Wir alle sind verantwortlich, dass die Entwicklung in Zukunft nachhaltig läuft. Wir müssen einen Weg finden, der für die meisten akzeptabel ist, auch wenn es ein Kompromiss ist, zusammen mit Politiker*innen.
  • Ich bin ziemlich sicher früher Computer-süchtig gewesen und habe mein Studium mit Programmieren finanziert. Heute ist es eher ein Werkzeug für mich.
  • Viele Digital Natives wissen leider nicht, was vor dem Smartphone und vor dem Internet war. Positive Resonanz auf Social Media wirkt wie eine Droge, das muss man sich bewusst sein.
  • Lebensmittel sind heute auch Mittel zur Identifikation und Selbstinszenierung. Das war schon immer so; Luxusgüter, wie Wein oder Schokolade waren früher etwas besonderes, aber heute sind sie massentauglich.
  • Selber Denken macht schlau, und man muss sich auch über seinen eigenen Bias bewusst sein. Wir sind in einer sehr guten Position und haben so viele Möglichkeiten, auch mit Lebensmitteln, doch man kann sich in diesem Dschungel regelmässig verlaufen. Es braucht Feedback von Freunden und aus der Gesellschaft, dass man sich seiner blinden Flecken bewusst wird.